===Die Hesses - eine Medizinerfamilie aus Bischofswerda=== Die medizinische Berufslaufbahn hatte bei den Hesses Tradition. Der Vater, [[Friedrich Wilhelm Hesse]], ließ sich 1842 als praktischer Arzt in Bischofswerda nieder und wirkte von 1871 bis 1892 als Bezirksarzt in Zittau. Er stammte aus Großröhrsdorf, wo wiederum sein Vater „kleine Chirurgie“ praktiziert und ein Großvater als Wundarzt gearbeitet hatten. Friedrich Wilhelm Hesse war der erste akademisch ausgebildete Mediziner seiner Familie. Er wurde zum Begründer einer bedeutenden Ärztedynastie. Mit seiner Frau aus der Tuchfabrikbesitzerfamilie Großmann hatten sie 12 Kinder. Je fünf Söhne und Töchter erreichten das Erwachsenenalter. Die Eltern legten großen Wert auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder - mit bemerkenswertem Erfolg. Vier Söhne wurden Mediziner und drei Töchter erhielten eine Lehrerinnenausbildung am Freimaurer-Institut in Dresden. H. selbst kam nach einem Besuch der Kreuzschule Dresden 1866 zum Medizinstudium an die Universität Leipzig, meldete sich 1867 freiwillig zum einjährigen Militärdienst und promovierte 1870 am Pathologischen Institut des Prof. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_L._Wagner Ernst L. Wagner]. Sein Bruder [[Friedrich Hesse]] hat 1884 die Universitätszahnklinik Leipzig gegründet. Viele ihrer Nachkommen wählten später ebenfalls die medizinische Berufslaufbahn. ===Erste praktische Berufserfahrungen (1870-1877)=== H. nahm 1870/71 als Feldassistenzarzt am Deutsch-Französischen Krieg teil, darunter an den Schlachten um Gravelotte und St. Privat. Hier begann das soziale Engagement H.s. Er kritisierte die medizinische Versorgung der Truppen und die hygienischen Bedingungen und machte Verbesserungsvorschläge. Das aktive Eintreten für soziale Fragen wurde charakteristisch für sein weiteres Berufsleben. Die erste international bekannte Arbeit war ein Ergebnis seiner Tätigkeit als Schiffsarzt auf der New York - Linie. Prof. Gavingel aus Le Havre bezeichnete H.s Erkenntnisse zur Seekrankheit als erste wissenschaftliche Arbeit zu dieser Thematik überhaupt, die Zittauer Medizinische Gesellschaft zeichnete ihn dafür aus. Nach einer Assistenz in der Heil- und Pflegeanstalt Pirna arbeitete H. von 1874 bis 1877 als praktischer Arzt in Zittau. Zusammen mit seinem Vater, dem dortigen Bezirksarzt [[Friedrich Wilhelm Hesse]], bemühte er sich u. a. um die Schaffung gesunder Lernbedingungen für Schüler. ===Heirat mit Fanny Angelina Eilshemius (1874)=== H. lernte seine spätere Ehefrau, [http://de.wikipedia.org/wiki/Fanny_Angelina_Hesse Angelina Eilshemius], 1872 in New York kennen, als er seinen Bruder Richard besuchte und dieser ihn in die Eilshemius-Familie einführte. Der Vater, Henry (Hinrich) Gottfried Eilshemius, war ein wohlhabender Kaufmann holländischer Abstammung und 1842 aus Emden in die USA ausgewandert. Die Mutter, Cecile Elise aus Lugano, war schweizerisch-französischer Abstammung und Tochter des Malers [http://de.wikipedia.org/wiki/Louis_L%C3%A9opold_Robert Leopold Robert] (andere Quellen sprechen von Cousine und Cousin). Die Familie Eilshemius hatte ebenfalls viele Kinder. Neben Angelina wurde v. a. ihr Bruder [http://en.wikipedia.org/wiki/Louis_Eilshemius Louis Eilshemius] als Maler bekannt. Eine Schwester hatte in die Familie des schweizerisch-amerikanischen Zoologen und Paläontologen [http://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Agassiz Louis Agassiz] geheiratet. Im Alter von 15 Jahren war Angelina auf eine Schule in die Schweiz geschickt worden. Als sie mit ihren Eltern erneut Europa besuchte, kam sie nicht nur in die Schweiz, sondern auch nach Dresden, wo sie Walther wiedertraf. Die Hochzeit fand 1874 wiederum in der Schweiz statt. Die künstlerisch talentierte Angelina war in den Folgejahren nicht nur Hausfrau und Mutter, sondern stand Walther z. B. auch mit äußerst präzisen Zeichnungen zur Seite. ===Als Bezirksarzt in Schwarzenberg (1877-1890) - Jahre bedeutender Entdeckungen=== ====Arbeits- und Umwelthygiene im Bergbau des Erzgebirges==== Als Bezirksarzt in Schwarzenberg war H. für 83 Gemeinden verantwortlich und lernte in den mehr als 10 Jahren seines Wirkens die Schattenseiten des Bergbaus kennen. Er untersuchte mit dem Schneeberger Bergarzt Härting die [http://de.wikipedia.org/wiki/Schneeberger_Krankheit Schneeberger Bergkrankheit], zu 75% Todesursache der Bergleute. Mithilfe von Sektionen erkannten H. und Härting die Bergkrankheit als Lungenkrebs. Es war das erste Mal, dass eine innere Krebserkrankung auf berufsbedingte äußere Einflüsse zurückgeführt wurde. Diese Arbeit wird auch heute noch vielfach zitiert. Aufgrund fehlender Kenntnisse zur Radioaktivität nahm man damals aber noch an, dass Arsen die wesentliche Krankheitsursache sei. Auch während seiner Tätigkeit im Erzgebirge wandte sich H. aktiv gegen die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der einfachen Leute. Er unterbreitete Verbesserungsvorschläge, v. a. um die damals noch zur Arbeit herangezogenen Kinder besser zu schützen. Um seine Kennnisse in Arbeits- und Umwelthygiene zu vertiefen, nahm er sich 1878/79 einen Studienaufenthalt bei [http://de.wikipedia.org/wiki/Max_von_Pettenkofer Max von Pettenkofer] in München. Fragen der hygienischen Arbeits- und Lebensbedingungen begleiteten H. sein ganzes Berufsleben. Im Erzgebirge galt sein besonderes Augenmerk der Luftqualität, insbesondere der Belastung mit Kohlendioxid und Staub. In den Steinkohlewerken des Zwickauer Reviers analysierte er die klimatischen Verhältnisse. Später kamen Untersuchungen zur mikrobiologischen Verunreinigung der Luft hinzu. ====Walther und Angelina Hesse - Wegbereiter der modernen Mikrobiologie==== In seiner ärztlichen Berufspraxis war bei H. die Überzeugung gewachsen, dass Bakterien Ursache vieler Erkrankungen sein könnten. Schnell wurde die Bakteriologie zu einem neuen Arbeitsschwerpunkt. International wird v. a. der Beitrag von H. und seiner Ehefrau zur Tuberkuloseforschung anerkannt. 1881/82 nahm er sich einen Forschungsurlaub im Kaiserlichen Gesundheitsamt bei [http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Koch Robert Koch]. Die Einführung fester Nährböden für Bakterienkulturen in Kochs Labor gilt als Geburtsstunde der modernen Mikrobiologie. In Flüssigkulturen lassen sich Bakterienarten nicht zuverlässig genug trennen. Die von Koch zunächst als Nährbodenverfestiger verwendete Gelatine wies jedoch prinzipielle Nachteile auf: Nährböden auf Gelatinebasis verflüssigen sich schon bei Temperaturen über 28° - viele Bakterienstämme benötigen aber ca. 37° für ein optimales Wachstum. Außerdem können viele Bakterien Gelatine verwerten. H. informierte Koch über eine bahnbrechende Idee seiner Ehefrau. Angelina kannte für ihre Puddings und Gelees Rezepte, so dass die für Gelatine bekannten Probleme nicht auftraten - sie hatte sie von einem holländischen Emigranten aus Java erhalten. Das aus Meeralgen gewonnene [http://de.wikipedia.org/wiki/Agar Agar-Agar] geliert nach einmaligem Aufkochen beim Abkühlen unter 44° und wird auch bei erneuter Erwärmung nicht wieder flüssig. Zudem sind die meisten Bakterien nicht in der Lage, die Polysaccharide des Agar zu verwerten. Die Substrate konnten damit sterilisiert und Bakterienkulturen auch über lange Zeit reproduzierbar untersucht werden. Robert Koch nutzte Agar-Agar, als er 1882 erstmals den Tuberkulose-Erreger isolierte. Die Herkunft des Hinweises auf Agar war lange unbekannt. Dessen Einführung in die bakteriologische Praxis gilt heute als ein Hauptverdienst der Hesses. Es ist seither aus der Bakteriologie nicht mehr wegzudenken. Von seiner Frau unterstützt setzte H. die Forschungen auf diesem Gebiet auch in den Folgejahren in Schwarzenberg fort. Dabei gelten v. a. seine Beiträge zur quantitativen Bestimmung der bakteriellen Wasserbelastung, aber auch zu Infektionskrankheiten wie Typhus und Cholera als bedeutsam. ===Verdienste um die öffentliche Gesundheit in Dresden=== 1890 wurde H. als Bezirksarzt in Dresden berufen. Er erwarb sich hier große Verdienste um die moderne Hygiene und hat weiter zu wesentlichen Grundlagen der Bakteriologie beigetragen. Er führte Desinfektionsverfahren ein und förderte das Impfwesen. Seine Erfahrungen aus der Praxis publizierte er vielfach in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften und er hielt Vorträge vor der „Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden“. Außerdem war er Mitglied der [http://dresden.stadtwiki.de/wiki/Naturwissenschaftliche_Gesellschaft_ISIS Naturwissenschaftlichen Gesellschaft ISIS]. H. blieb gegenüber Neuerungen stets sehr aufgeschlossen und übernahm rasch die [http://de.wikipedia.org/wiki/Petrischale Petrischale]. Besonders den Kindern und ihren Krankheiten galt seine Aufmerksamkeit. Er untersuchte den Bakteriengehalt im Dresdner Albertbad. Der Ausbruch von Typhus-, Diphtherie- und Cholera-Epidemien in der Region Dresden ließ H. die mikrobiologischen Grundlagen dieser Krankheiten im Labor untersuchen. Er erkannte zudem die große Bedeutung der [http://de.wikipedia.org/wiki/Pasteurisierung Pasteurisierung] von Milch, insbesondere für die gesunde Entwicklung der Kinder, und initiierte ihre Einführung in [http://de.wikipedia.org/wiki/Pfunds_Molkerei Pfunds Molkerei] in Dresden. Er bemühte sich außerdem in Zusammenarbeit mit der [http://de.wikipedia.org/wiki/Chemische_Fabrik_v._Heyden Chemischen Fabrik v. Heyden] Radebeul um eine industrielle Herstellung von Agar-Agar und entwickelte verschiedene Variationen für spezielle Anwendungen, z. B. zur Bestimmung der Keimzahl in Trinkwasser und Milch. Zur Thematik öffentliche Gesundheit unternahm H. 1899 eine Studienreise nach Norddeutschland, England und den USA. Dabei galt sein Hauptinteresse den dortigen Wasser- und Abwasseranlagen. Im „Bakteriologischen Laboratorium Dresden-Strehlen“ und im „Laboratorium für Anorganische und Analytische Chemie der Technischen Hochschule zu Dresden“ arbeitete er eng mit dem aus Pulsnitz stammenden Prof. [[Walther Hempel]] zusammen. Auf die Anregung des Vaters hin untersuchte sein Sohn Gustav hier vor seiner Berufung nach Jena die Herstellung von Nährböden zur Bakterienzüchtung. ===Erinnerungen=== H.s Leistungen sind u. a. mit der Ernennung zum „Geheimen Medizinalrat“ gewürdigt worden. Sein Vermächtnis wurde durch seine Kinder und Enkelkinder fortgeführt, von denen viele die ärztliche Berufslaufbahn eingeschlagen haben. Die [http://www.deutschefotothek.de/obj80096201.html Grabstätte der Familie Hesse] mit einem von [http://de.wikipedia.org/wiki/Arnold_Kramer Arnold Kramer] geschaffenen Wandgrabmal befindet sich auf dem Friedhof Radebeul-Ost. Es zeigt die Eltern mit Walther und seinen 9 erwachsenen Geschwistern. Das Deutsche Museum München bewahrt in der Fotosammlung der Bibliothek ein Bild von H. und seiner Frau auf. Artikel zu Walther Hesse von Frank & Uwe Fiedler im Biographischen Lexikon der Oberlausitz, 2011