===Kindheit in Bischofswerda=== H. wurde am 7.12.1849 in Bischofswerda geboren. Der Vater, [[Friedrich Wilhelm Hesse]], praktizierte hier drei Jahrzehnte als Arzt und hatte sich mit seinem Engagement um die Gesundheitsbetreuung schwächlicher Kinder großes Ansehen erworben. Die Mutter stammte aus der bekannten Tuchfabrikbesitzerfamilie Großmann in Bischofswerda. Die Familie Hesse war kinderreich. Von den insgesamt 12 Geschwistern starben zwei frühzeitig, je 5 Söhne und Töchter überlebten. Die Eltern legten großen Wert auf eine gründliche Schulausbildung ihrer Kinder - mit bemerkenswertem Erfolg. Vier Söhne wurden Mediziner, drei Töchter erhielten eine Lehrerinnenausbildung am Freimaurer-Institut Dresden. H. besuchte zunächst die Stadtschule Bischofswerda, wurde zuhause unterrichtet und wechselte mit 13 Jahren auf die Kreuzschule Dresden. ===Ausbildung zum Anatomen in Leipzig=== 1868 begann H. - wie schon zwei seiner Brüder - ein Medizinstudium an der Universität Leipzig. Er unterbrach es, um 1870 als Einjährig-Freiwilliger während des Deutsch-Französischen Krieges in die Armee einzutreten. Nach dem Krieg setzte H. bei [http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Wilhelm_Braune Prof. Braune] (1871) sein Studium fort und erhielt nach seiner Approbation 1873 bei [http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_His_(Anatom) Prof. Wilhelm His] eine Anstellung als Assistent am Anatomischen Institut. 1874 promovierte H. bei Prof. His mit Untersuchungen zur Muskulatur der menschlichen Zunge. 1875 wurde er zum Prosektor ernannt. H. erhoffte sich von der anatomischen Ausbildung, breit anwendbares Grundlagenwissen zu erwerben, v. a. im Hinblick auf eine angestrebte Chirurgenlaufbahn. Neben Braune und His gehörte auch der berühmte Physiologe [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Ludwig_(Physiologe) Prof. Carl Ludwig] zu seinen Förderern. Mit ihm führte er u. a. Experimente zur Mechanik der Herzbewegung durch. In einem Brief an den Bruder [[Walther Hesse]], einen bedeutenden Bakteriologen, schrieb Ludwig später, dass H. unzweifelhaft die Befähigung zu einem Professor der Anatomie habe, er ihn aber trotzdem unterstützt, diese Laufbahn zugunsten der eines Zahnarztes aufzugeben. Das Jahr 1877 markiert den Höhepunkt der anatomischen Laufbahn H.s. Er habilitierte sich zum Privatdozenten und unternahm eine Studienreise nach Paris zu [http://de.wikipedia.org/wiki/Louis-Antoine_Ranvier Louis Ranvier], bei dem er ein Vierteljahr am College de France arbeitete, und nach Strasbourg zu [http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Wilhelm_Waldeyer Heinrich Wilhelm Waldeyer]. ===Friedrich Louis Hesse - Wegbereiter einer wissenschaftlichen und sozial ausgerichteten Zahnheilkunde=== ====Weiterbildung zum Zahnarzt in New York==== 1879 erhielt H. eine Studienreise in die USA. Mit Hilfe seines Bruders Richard, Arzt in Brooklyn, knüpfte er Kontakte zu amerikanischen Zahnmedizinern. Besonders beeindruckte ihn das seinerzeit unvergleichlich reichhaltig ausgestattete Medical Department der Pennsylvanischen Universität. Er beschloss, sich der Zahnheilkunde zuzuwenden. In Abstimmung mit Prof. His und Prof. Ludwig entwickelte er Pläne für einen wissenschaftlichen Zahnheilkundeunterricht in Deutschland. 1880/1881 nahm sich H. mit Förderung durch die Albrechtstiftung unter Prof. Thiersch einen zweijährigen Studienurlaub am New Yorker Dental College, wo er 1881 das Examen ablegte. Um seinen Aufenthalt zu finanzieren und Mittel für seine berufliche Zukunft zu erwerben, betrieb er im Hause seinen Bruders eine Zahnarztpraxis. Die Kombination von in Leipzig erworbenen naturwissenschaftlichen Grundlagen und Ausbildung an neuesten technischen Einrichtungen und Materialien in den USA sollte sich später als entscheidende Voraussetzung für seine Karriere als Zahnmediziner erweisen. H. eröffnete im Februar 1882 seine erfolgreiche Zahnarztpraxis in Leipzig. Bei Dr. Klare bestand er im selben Jahr die deutsche zahnärztliche Prüfung. ====Die Familiendynastie Liebig/Thiersch==== Im Mai des Jahres 1883 heiratete H. Agnes Thiersch. Sein Schwiegervater war der bekannte Leipziger Chirurg [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Thiersch Carl Thiersch] (ab 1876 Universitätsrektor), dessen Vater wiederum, [http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Thiersch Friedrich Thiersch], ein bekannter Philologe. Die Schwiegermutter, Johanna Thiersch, war die zweitälteste Tochter des [http://de.wikipedia.org/wiki/Justus_von_Liebig Justus v. Liebig], eines der bedeutendsten deutschen Chemiker überhaupt. Zu H.s Schwägern gehörten der protestantische Theologe und Kirchenhistoriker [http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Harnack Adolf von Harnack] und der Historiker und Politiker [http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Delbrück Hans Delbrück]. Carl Thiersch zählte neben Braune, His und Ludwig zu den wichtigsten Befürwortern der Einrichtung einer Lehrstätte für Zahnärzte in Leipzig. ====Begründung des ersten zahnärztlichen Universitätsinstituts Deutschlands in Leipzig==== 1883 erhielt H. den Auftrag des Königlichen Ministeriums zur Konzeption von Status und Etat eines Zahnärztlichen Instituts an der Universität Leipzig. Es sollte sich - nach amerikanischem Vorbild - finanziell teilweise selbst tragen. Am 16.10.1884 wurde es in Leipzig, Goethestraße 5, als erstes derartiges Institut in Deutschland eröffnet. Die Gründung war auch dank Pfarrer Friedrich Adolph Huth möglich geworden, der dafür in seinem Testament 15000 Mark gestiftet hatte. H., seit dem 28.4.1884 außerordentlicher Professor, wurde zum Leiter des Instituts berufen. Das Institut hatte anfänglich nur 7 Studenten. Es erhielt zwar Fördermittel, befand sich aber nicht in direkter staatlicher Trägerschaft. Zu seinen Patienten zählten vorwiegend Arbeiter und Gewerbetreibende, die durch Studierende für geringes Entgelt bzw. kostenfrei behandelt wurden. Trotz vieler Probleme im Vorfeld war er Leipzig treu geblieben, obwohl ihm inzwischen ein ehrenvolles Angebot als Gründungsdirektor eines Berliner Zahnärztlichen Instituts vorlag.
H. orientierte auf Zahnerhaltung und Kariesprophylaxe anstelle einer reinen Extraktionstherapie. Erstmals in Deutschland erhielten ab 1886 Mitglieder einer Ortskrankenkasse konservierende Behandlungen. H. bemühte sich sachsenweit um die Kariesprophylaxe an Schulen und dem Schutz der Patienten vor überhöhten Honorarforderungen. Schon 1891 wurden in Chemnitz kostenlose Zahnuntersuchungen für Volksschüler eingeführt. Dieses soziale Engagement führte zu Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen um die Übernahme der Kosten und belastete die Wirtschaftlichkeit seiner Zahnklinik. H. legte den Schwerpunkt auf Ausbildung (universitäre Anbindung) sowie auf praktische Tätigkeit. Für eigene wissenschaftliche Arbeit blieb wenig Raum. Er vertrat das (damals bereits unübliche) Prinzip eines einheitlichen Unterrichts, wonach der gesamte Unterricht der Person des Direktors unterstand. 1898 erfolgte die vollständige Übernahme durch die Universität. H. wurde als erster Lehrstuhlinhaber berufen. Steigende Studentenzahlen und die Notwendigkeit wissenschaftlicher Fundierung, aber auch zu geringe Eigenfinanzierung hatten diesen Schritt erforderlich gemacht. ====Kampf um die Anerkennung der Zahnheilkunde als Wissenschaft==== H. war von 1890 bis 1906 Vorsitzender des "Zahnärztlichen Vereins für das Königreich Sachsen", von 1891 bis 1900 erster Vorsitzender des "Zentralvereins Deutscher Zahnärzte" und Mitglied des Exekutivkomitees der [http://www.fdiworldental.org Féderation Dentaire Internationale]. Die Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen, die Zähne behandelnden Berufsgruppen führte zu heftigen Standesauseinandersetzungen, in denen sich H. besonders aktiv engagierte. Jahrelang vergebliche, leidenschaftliche Bemühungen um die Gleichstellung der Zahnheilkunde mit der übrigen Medizin sowie ein Gerichtsstreit mit "Spezialärzten für Zahn- und Mundkrankheiten" ohne zahnärztliche Approbation zehrten an seiner Gesundheit. Die universitären und staatlichen Stellen gewährten ihm dabei kaum Unterstützung. Er wurde depressiv und gab seine Privatpraxis auf. Am 22.10.1906 wählte er den Freitod. ===Hesses Vermächtnis=== H. erwarb sich große Verdienste um eine optimale theoretische und praktische Ausbildung und um die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung. 1906 hatte das Leipziger Institut bereits 44 Studierende. Zu Lebzeiten wurde er mit Ehrenmitgliedschaften des Zentralvereins Deutscher Zahnärzte, der Leipziger Zahnärztlichen Gesellschaft, des Vereins für Mitteldeutschland und des Vereins Österreichischer Zahnärzte gewürdigt. Nach seinem Tod setzte die Verwirklichung seiner Ziele ein: 1909 erfolgte die Einführung einer neuen Prüfungsordnung mit dem Abitur als Vorbedingung für die Aufnahme des Zahnheilkundestudiums, 1910 die Einrichtung eines großzügigen Zahnärztlichen Instituts in der Nürnberger Straße und 1919 erhielten die Zahnmediziner ein eigenes Promotionsrecht. Das wissenschaftliche Vermächtnis H.s wurde in Leipzig durch Prof. Theodor Dependorf und Prof. Wilhelm Pfaff fortgeschrieben. Drei seiner Söhne schlugen eine medizinische Laufbahn ein, einer davon als Zahnarzt. In Jena wirkte Prof. Gustav Hesse von 1907 bis 1945 als Direktor des Zahnärztlichen Instituts in der Tradition seines Onkels und konnte 1921 die Anerkennung als Universitätsinstitut erreichen. 1910, ein Jahr nach der 500-Jahrfeier der Universität Leipzig, hatte Max Lange für die Universität eine Gedenkmünze zu Ehren H.s geschaffen. Seit 1994 erinnert ein zweijährliches wissenschaftliches Friedrich-Hesse-Symposium für Studenten und junge Wissenschaftler an der Poliklinik für Konservierende Zahnheilkunde der Universität Leipzig an seine bedeutenden Leistungen. Aus Anlass des 125. Jahrestages der Gründung der Universitäts-Zahnklinik wurde im Jahre 2009 beschlossen, das "Zentrum für Orale Medizin" nach Friedrich Louis Hesse zu benennen. Artikel zu Friedrich Hesse von Frank & Uwe Fiedler im Biographischen Lexikon der Oberlausitz, 2011